Berlin, 23.11.2016
Tatbestandsmerkmal „nicht geringe Menge“ – wie sieht es mit einem Abschlag aus?
Der 2. Strafsenat des OLG Stuttgart hat nochmal verdeutlicht: Bei der Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „nicht geringe Menge“ eines Cannabisproduktes in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erfüllt ist, ist die dem Messvorgang innewohnende Messunsicherheit zugunsten des Angeklagten von dem gemessenen Wirkstoffgehalt an verfügbarem Tetrahydrocannabinol (THC) abzuziehen.
Die Feststellung der nicht geringen Menge macht sich in aller Regel bemerkbar bei der Strafzumessung. Allein der THC Gehalt entscheidet dann, ob es zu einer Freiheitsstrafe kommt, oder aber eine Geldstarfe Tat- und Schuldamgemessen ist.
Zum Fall:
Das Amtsgericht Tettnang hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Zusammenhang mit mehereren anderen Entscheidungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft Ravensburg hat das Landgericht Ravensburg das amtsgerichtliche Urteil mit der Maßgabe abgeändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist.
Was bedeutet nochmal „nicht geringe Menge“ und warum ist der Unterschied von Bedeutung?
Das Tatbestandsmerkmal der „nicht geringen Menge“ in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG beträgt für Cannabisprodukte 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). In seiner Grundsatzentscheidung zur Festlegung dieses Grenzwertes der nicht geringen Menge an verfügbarem THC führte der Bundesgerichtshof aus, die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „in nicht geringer Menge“ erfüllt ist, sei vom Tatrichter nicht aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände zu entscheiden, vielmehr gebiete der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG; § 1 StGB) eine Präzisierung. Von der Verwirklichung allein dieses Tatbestandsmerkmals hängt nämlich die Einstufung eines strafbaren Verhaltens als Verbrechen ab. Rechtsanwendende und Rechtsunterworfene müssten wissen, von welchem Grenzwert an eine nicht geringe Menge in jedem Fall gegeben ist. Dies sei nur dann der Fall, wenn das Cannabisprodukt mindestens 7,5 Gramm THC enthalte (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 -).
5 % Sicherheitsabschlag für den Angeklagten
Die wohl herrschende Meinung führt – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft Ravensburg, dass der BGH bei Festlegung des Grenzwertes von 7,5 Gramm THC bereits Messtoleranzen berücksichtigt habe – aus, dass seit etwa dem Jahr 2005 unter Betäubungsmittelexperten kontrovers diskutiert werde, wie hoch der Sicherheitsabschlag bei Wirkstoffuntersuchungen von Betäubungsmitteln sein muss, um den gegebenen Messunsicherheiten Rechnung zu tragen. Danach ist ein solcher Sicherheitsabschlag vorzunehmen, der vor dem Hintergrund einer Entscheidung des Landgerichts Trier vom 05. August 2010 zur nicht geringen Menge bei Cannabis mit der laborinternen Abweichung zu bemessen sei. Diese lag bei dem der dortigen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt bei fünf Prozent.